Noch immer bin ich von den Eindrücken des Nordsee-Cleanups überwältigt und bin sehr dankbar, dass ich Menschen wie Elisa (Bodenstab – Perpetuum Mobility e.V.) und Chris (Weigand, Gründer von Blue Awareness e.V.) kennenlernen durfte.

Bis zu meiner Krebserkrankung habe ich in vielen beruflichen aber auch ehrenamtlichen Projekten mitgearbeitet, ich kann mich an keine Zusammenarbeit erinnern, die so „selbstverständlich“ verlief, wie die mit Elisa. Wir haben uns ohne große Absprachen ergänzt, selten waren wir nicht einer Meinung, fanden jedoch immer schnell einen Konsens. Automatisch machte jeder das, was er am besten konnte und das in einem engen Zeitfenster. Dass wir ein professionelles Wochenende organisiert haben, hat auch die Presse anerkennend zur Kenntnis genommen. Sogar Radio FFN Ostfriesland hat uns für einen Beitrag eine Stunde interviewt, das waren alles tolle Momente.

Seit meiner Krebserkrankung arbeite ich nicht mehr, von 1000 auf 0 runtergefahren, mehr oder weniger von heute auf morgen. Du bist raus, raus aus dem Kosmos, der Dein Leben fast rund um die Uhr beschäftigt hatte. Auch wenn Dich dieser Kosmos krankgemacht hatte, das war Dein Leben … und das ist dann eine große Leere …
Du hast nicht entschieden, dass Du diesen Kosmos aufgibst, sondern, Deine Erkrankung hat Dich arbeitsunfähig gemacht. Wie und wo willst Du da anschließen?

Im Februar 2017 bin ich kurz nach Ende meiner Chemo auf die Euroshop-Messe nach Düsseldorf gefahren, ein Messebesuch sozusagen vor der damaligen Haustür. Die Euroshop ist die weltweit größte Messe für den Ladenbau, Verkaufsförderung, POS-Marketing etc. also meine Haus- und Hofmesse der letzten 24 Jahre. Als Vorwand hatte ich mich mit einem lieben Geschäftspartner aus München verabredet, in Wirklichkeit wollte ich mein altes Leben spüren, wollte es festhalten.
Ich musste zweimal aus den Hallen rausgehen und mir eine Ecke suchen, in der ich ungestört meinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte und mich erst einmal ausheulen.
In dem Moment hatte ich mich selbst verflucht, warum ich alleine dorthin gefahren war und niemanden hatte, der mich auffing … wie viele Paare oder Freundinnen, erwachsene Kinder mit einem Elternteil sehe ich regelmäßig bei meinen Therapiesitzungen. Erkrankte, die sich von ihren Lieblingsmenschen stützen lassen und teilweise durch die Krankheit geführt werden. Ich bin bis auf zwei Untersuchungen zu Beginn der Diagnose immer alleine unterwegs, warte alleine vor dem CT-Raum, warte alleine auf das Arztgespräch. Vielleicht hätte mich jemand begleitet, wenn ich danach gefragt hätte, vielleicht.

Nun stand ich also alleine auf dem großen Messegelände und hatte mein berufliches Leben Revue passieren lassen.
Als Studentin habe ich mehrfach auf Messen in Essen und Düsseldorf und sogar im europäischen Ausland gearbeitet. Als Messehostess zur damaligen Zeit unversteuert mit Tagessätzen zwischen 150 und 250 DM zu arbeiten, das war eine hervorragende Einnahmequelle, eine die einem die große weite Welt näherbrachte oder einem den Einblick in bestimmte Branchen gab, die man sonst nie kennengelernt hätte. Und da ich mich auch nicht dumm anstellte und meine Jobs immer sehr gewissenhaft ausgeübt hatte, bekam ich sehr schnell immer häufiger die guten Angebote sehr früh bzw. haben mich Firmen gleich für die Folgemesse gebucht. So bin ich mit einer italienischen Firma, für die ich auf der Drupa (weltgrößte Druck- und Papiermesse) in Düsseldorf gearbeitet hatte, nach Mailand, Birmingham, Barcelona und wieder nach Düsseldorf eingeladen worden, habe über mehrere Jahre die Caravanmesse im Frühjahr und im Herbst in Essen bei der Firma Bürstner gearbeitet. Vom Wohnwagen putzen über die Händlerbetreuung im Cateringbereich bis hin zum Servicestand durchliefen wir dort täglich rotierend diese Stationen, immer mit einer Pause in der kleinen Messeküche bei Frau Bürstner senior. Eine Pause mit einer Fußmassage von ihr persönlich durchgeführt. Fragen nach Kugelschreibern oder sonstigen Werbemitteln hätten wir abends am liebsten mit einem Faustschlag ins Gesicht des Fragenden beantwortet, denn vor ihm oder ihr hatten wir diese Frage mindestens hundertfach beantwortet. Souvenirjäger und „Matrosen“ (=Sehleute) konnten einem den Messealltag ganz schön schwer machen. Publikumsmessen waren schon wirklich ein anderes Kaliber als die ganzen Fachmessen. So habe ich auf der ersten deutschen Mobilfunkmesse in Essen für Motorola gearbeitet und war stolz, die großen „Knochen“ zu präsentieren, für einen selbst noch unerreichbar. Wenn man bedenkt, dass heute schon die meisten Kinder ein einfaches Handy haben! Oder Simultanübersetzen für den spanischen Vertriebspartner einer deutschen Firma auf der Kälte-Klima-Technik-Messe oder auch einfach nur mal auf der entsprechenden Fachmesse die neuesten Autoscooter fahrend präsentieren. Wenn ich das alles Revue passieren lasse, frage ich mich, wann ich eigentlich Zeit für mein Studium hatte 😉 und wie ich überhaupt so lange auf einem Messestand auf hohen Schuhen stehen konnte. Später als ich dann selbst die Verantwortung für die Messestände hatte, taten mir schon oft mittags die Füße weh … und komisch war auch mein erster Messeeinsatz als Verantwortliche unter dem Aspekt, dass ich nun nicht mehr bei Fragen an jemanden von „der“ Firma verweisen konnte, denn das war ich nun plötzlich selbst. Als Geschäftsführerin einer Leuchtdisplay-Firma war ich nicht nur auf der Euroshop für unseren Messeauftritt verantwortlich, sondern auch zweimal in Dubai. Beim ersten Messeaufenthalt in Dubai feierte ich meinen 30. Geburtstag, sowie ich schon einige Jahre zuvor auf der Messe in Barcelona einen Geburtstag feiern durfte, ein ziemlich einsames Unterfangen mit einem Piccolo aus der Hotelbar. Und später in meiner Selbständigkeit hatte ich alle zwei Jahre stetig wachsende Messestände auf der Tankstellenmesse in Hennef bzw. Münster und einmal sogar eine Beteiligung an einem Messeauftritt in Moskau. Zu allen Messen gibt es verschiedene Anekdoten zu erzählen, das werde ich mal in Angriff nehmen und zusammentragen.

Da die Euroshop-Messe nur alle 3 Jahre stattfand und ich auch einige Geschäftspartner schon längere Zeit nicht mehr gesehen hatte, wurde ich von einigen nicht auf Anhieb erkannt. Ich hatte bis zu meiner Diagnose im September 2016 bereits 15 Kilo durch die Ernährungsumstellung abgenommen, die Chemo hatte dann noch einmal geholfen weitere 10 Kilo abzuspecken. So war ich schlank und rank wie in jungen Jahren mit einem Turban, der meine Glatze zu diesem Zeitpunkt bedeckte, sicherlich nicht sofort wiedererkennbar. Und je mehr ich solcher Gespräche führte und je länger ich durch die Hallen zog, wusste ich, dass ich dieses Leben eigentlich nicht mehr zurückhaben wollte. Diese hektische Betriebsamkeit, das Laute, es hat mich fast verschreckt.
Was war denn da mit mir innerhalb von vier, fünf Monaten passiert? Es war ein Abschiednehmen, das wurde mir schon in den Hallen immer bewusster, auch wenn es zunächst ein unfreiwilliger Abschied war.

Und nun merkte ich während der Vorbereitungen zum Nordsee-Cleanup, dass ich durchaus das ein oder andere nicht verlernt hatte, ich musste mir aber auch eingestehen, dass ich körperlich noch lange nicht an meine alte Konstitution anschließen kann. Zwischendurch musste ich mich immer wieder mit der Abwicklung der alten Firma beschäftigen, mit den Dingen, die mich krankgemacht hatten. Das hat auch psychische Spuren hinterlassen.
Wie viele andere Palliativ-Krebskranke bin auch ich in psychoonkologischer Behandlung und lasse mich zusätzlich entsprechend coachen, um die Dämonen in Schach zu halten.
Ja, ich bin ein positiver Mensch und ich will auch meinen Optimismus nach außen strahlen lassen, dennoch beschäftigen mich genauso viele Ängste. Und es braucht immer wieder – in unterschiedlichen Abständen – diese Gespräche, die mich auffangen bzw. mich wieder einnorden.
Natürlich ist da immer der gesundheitliche Aspekt, werde ich jemals krebsfrei werden – entgegen der schulmedizinischen Meinung?
Wie viel Zeit bleibt mir noch, wenn ich wieder eine Todesanzeige einer Mitstreiterin erhalte?
Kann ich den Krebs so in Schach halten und wenn ja, zu welchem Preis?
Meine aktuellen Nebenwirkungen zehren körperlich sehr an mir.
Auch der berufliche Aspekt beschäftigt mich täglich, kann ich je wieder auf eigenen Beinen stehen?Habe ich jemals wieder die Kraft, eine Teilzeit-, oder Vollzeitstelle wahrzunehmen?
Wer stellt denn jemanden mit einer 100%igen Schwerbehinderung und dieser Diagnose ein?

Alles das, konnte ich mal für ein paar Tage hinter mir lassen und ein relativ normales Leben genießen. DANKE, liebe Elisa …

… und ich werde alles dafür tun, dass es 2020 den 2. Nordsee Cleanup auch mit meiner Unterstützung geben wird!
Schaut selbst … dieser Link führt zu einem wunderbaren Video …